Einzigartige, authentische Geschichten

aus Brixen und Südtirol

Das Herz. Es schlägt in den Bergen höher. Und beim Vernehmen schöner Künste schneller. Purzelbäume schlägt es dann, wenn die Berge und die Kunst sich vereinen. Das nennt man dann: pures Glück! Diese Magazinartikel nehmen euch mit auf eine einzigartige Reise und sie zeigen das, was uns ausmacht: die feine Mischung aus umwerfender Natur und überwältigender Kultur.


Lest euch glücklich!

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Heiße Sache

Von Adelheid Kerschbaumer Raifer sagt man, sie backe die besten Strauben Südtirols. Zu Gast bei der Bäuerin vom Moar zu Viersch Hof in Verdings.

5 Minuten

„Ohne Arbeit geht nichts“, sagt Adelheid Kersch­baumer Raifer und schnürt auf einer hölzernen Bank im Garten vom Moar zu Viersch Hof schwer atmend ihre groben Stallschuhe auf. Obwohl ihr die Sonne an diesem Morgen bereits ins Gesicht scheint, zeichnet der Atem der alten Bäuerin eine kleine Wolke in die Luft. Ihr macht das nichts aus. Sie trägt eine kurzärme­lige, karierte Bluse und darüber einen blauen Kleider­schurz mit feinen, weißen Mustern. Kalt sei ihr selten, sagt sie. Auch nicht, wenn sie, wie jeden Tag, um halb fünf Uhr morgens in den Stall zu den Kühen geht. Von dort kommt sie gerade und stapft weiter zum Stall ihrer Hühner. „Ich hol nur schnell ein paar Eier für unsere Strauben“, sagt sie und verschwindet.

Bereits im Alter von zwölf Jahren musste die heu­te 90-Jährige auf dem elterlichen Hof in Latzfons mit anpacken. In die Schule ging während des Kriegs nie­mand. Schließlich hing von der Arbeit das Überleben der ganzen Familie ab. „Hier auf dem Moar zu Viersch bin ich seit 1958“, erzählt Adelheid Kerschbaumer Rai­fer, als sie mit Eiern und Milch zurück zur Eingangs­tür des großen Bauernhofs kommt. Damals heiratete sie ihren Mann und zog zu ihm und seiner Familie auf den Hof. Von hier aus reicht der Blick über saftig grüne Wiesen auf die andere Talseite, bis auf die Geislerspit­zen und die Plose.

Adelheid erinnert sich daran, wie sie viele Jahre lang die Milch ihrer Kühe jeden Tag auf einer Kraxe vom Hof bis hinunter ins Tal nach Klausen getragen hat. 45 Minuten Fußweg in eine Richtung, mit 30 Ki­logramm Gepäck auf dem Rücken, um am Ende des Monats einen kleinen Lohn in der Tasche zu haben. 1978 ist ihr Mann verstorben, Kinder hatten die beiden keine.

„Was will man machen?“, sagt sie, wendet den Blick zu Boden und hievt sich schweren Schrittes über die steinerne Treppe in den ersten Stock. Hier emp­fängt die Bäuerin im Herbst die Gäste zum Törggelen in der warmen Stube – neben der Küche der einzige beheizte Raum auf dem ganzen Hof. Schlutzkrapfen, Gerstensuppe, Surfleisch, Kraut, Kartoffelblattln und Kastanien bereitet sie mit ihrer Nichte Mechthild in der Küche zu. Berühmt aber ist Adelheid vor allem für ihre Strauben und süßen Krapfen.

Eine halbe Stunde Schlaf nach dem Mittagessen, dann ruhen die Gedanken.

Adelheid Kerschbaumer Raifer

Sie öffnet eine hölzerne Tür am Anfang des Flures. Die dicken Mauern, die aus dem 9. Jahrhundert stam­men, und die Decke des Raumes sind von schwarzem Ruß bedeckt. In der Selchkammer habe sie ihre Ruhe zum Backen und in der Küche bleibe so genug Platz für die übrigen Helfer, sagt sie. Normalerweise hängen im schwarzen Raum Fleischstücke von den Schweinen des Hofs zum Räuchern. Eine Technik, mit der man den Speck haltbar macht. Heute aber schüttet die Bäu­erin hier eine Ladung Öl in eine schwarze, gusseiserne Pfanne und zündet die Gasflamme darunter an. Dann trennt sie das Eigelb zweier Eier vom Eiklar.

In einer Schüssel schlägt die Bäuerin den Eischnee und in der anderen vermengt sie das Eigelb mit et­was Zucker und Salz, Vanillezucker, zerlassener But­ter und Milch von ihren Kühen. Dann verschwindet sie kurz und taucht mit einer Flasche Bier wieder auf. „Das brauchen wir, damit die Strauben das Fett nicht aufsaugen“, sagt sie, lacht und kippt einen Schluck da­von in die Masse. Sie gibt zuerst etwas Mehl dazu und schließlich das zu Schnee geschlagene Eiweiß. Nach Rezept arbeite sie in der Küche nie, sagt sie. Ihre Hände haben in den ganzen Jahren des Zubereitens klassi­scher Südtiroler Gerichte wohl gelernt, wie sich die richtige Konsistenz für den jeweiligen Teig anfühlt. „Hier muss noch etwas mehr Mehl rein, sonst ist das Ganze zu flüssig“, urteilt sie und rührt den Teig mit einer Suppenkelle fertig um.

Während die Hände der alten Frau von Falten und aufgeschwollenen Knochen gezeichnet sind, leuchten die prallen Wangen rot, die Augen strahlend blau. Die grauen Haare hat sie zu einem Zopf gebunden und unter einem Haarnetz verstaut. Wenn man sie nach dem Geheimnis ewiger Jugend fragt, zeigt sie ihr ver­schmitztes Lachen. „Eine halbe Stunde Schlaf nach dem Mittagessen, dann ruhen die Gedanken.“

Den fertigen Teig schöpft die Bäuerin mit der Sup­penkelle in einen Straubentrichter. Das Loch an der unteren Seite des Trichters hält sie mit ihrem Zeige­finger zu. Dann zielt sie über die Pfanne, löst den Fin­ger und lässt den Teig mit kreisenden Bewegungen geschickt in das heiße Öl fließen. Während die lange Schlange langsam goldbraun aufpufft, dreht Adelheid die Flamme noch etwas höher und wendet die Straube im heißen Fett. Kurz darauf schöpft sie das fertige Ge­bäck aus der Pfanne auf einen Teller.

Das Straubenmachen hat Adelheid Kerschbau­mer Raifer sich selbst beigebracht und es im Laufe der Jahrzehnte immer weiter perfektioniert. Wenn zu be­sonderen Anlässen schon mal über hundert Strauben im heißen Fett landen, hole sie sich Hilfe von jungen Bäuerinnen aus dem Dorf, erzählt sie und schöpft nach nicht einmal einer Minute die nächste süße Schlange aus der Pfanne. Mit etwas Staubzucker und Preiselbe­ermarmelade garniert, reicht sie die Köstlichkeit zum Probieren: Luftig, süß und gar nicht fettig zergehen die Stücke im Mund. So, genau so müssen Strauben schmecken.

Text: Lisa Maria Kager
Fotos: Michael Pezzei
Erscheinungsjahr: 2019

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